Leichter Rausch, trübe Aussicht
Von Karl Markus Gauss
(Süddeutsche Zeitung, 23. 12. 2011,
Bekenntnisse eines Zuhälters
Novi Sad, Ende der sechziger Jahre. Eine Gruppe junger Leute langweilt sich in der Hauptstadt der jugoslawischen Provinz Vojvodina fast zu Tode. Ihren Eltern mochte der Sozialismus noch ein Ideal gewesen sein, für das es sich zu leben lohnte, ihnen ist er eine banale, bedrängende Realität, aus der sie alle Tage in den Rausch, in die Orgie zu flüchten versuchen. Sie nennen sich Pud, Hem, Blue, Merkurosz, studieren oder tun wenigstens noch so, während sie mit ihren Mädchen Olga, Bea, Csicsi, Tanja eimerweise Alkohol trinken und es im Bett mit wechselnden personellen Konstellationen probieren. Sie sind zynisch, verkommen, vor der Zeit erschöpft, aber in ihrer ziellosen Verweigerung liegt ein gewisser Charme, der Rausch ist leicht, nicht dumpf, und noch haben sie Kraft genug, das Elend weniger zu erleiden, als zu genießen.
Es schaudert sie „vor den großen Worten, deshalb wandten sie sich auch von großen Gedanken ab“; ringsum regiert die Phrase des sozialistischen Aufbaus, darum wetteifern sie, wer sich noch abgebrühter zu geben weiß und am weitesten in die Verzweiflung vorwagt. Sie ziehen durch die Bars und Kaschemmen, reden von der Reise ans Meer oder vom eleganten Abgang in einen frühen Tod, und in ihrem „verrückten Benehmen ist die Logik derer, die sich selbst zerstören, die fröhlich erleiden, dass es nichts gibt, was sie aus der Bahn werfen könnte“
.
Anders als ihre Altersgenossen in den westlichen Ländern, deren Revolte von sozialistischen Utopien beflügelt wird, sind die Verweigerer von Novi Sad flügellahm; sie träumen nicht davon, eine Gesellschaft, die sie als ungerecht empfinden, zu zerstören, sondern spüren die nihilistische Verlockung, lieber sich selbst zu zerstören als das zu werden, wovor sie am meisten Angst haben: nützliche Mitglieder der Gesellschaft. Es ist das letzte Aufmucken der Adoleszenz, ehe es mit ihnen abgeht in den Ernst des Lebens und sie selbst als Lehrer am Katheder vor Kindern sitzen, als Beamte über Jugendliche entscheiden werden.
„Bekenntnisse eines Zuhälters“ ist ein merkwürdiger Roman, der mit 40-jähriger Verspätung aus dem Ungarischen zu uns kommt. Verfasst wurde er von László Végel, einem bedeutenden Autor und unbestechlichen Intellektuellen, der im heute zu Serbien gehörenden Novi Sad lebt, aber der ungarischen Volksgruppe zugehört. 1968, als der Roman erstmals erschien, waren in Jugoslawien Dinge erlaubt, die in Ungarn streng gebannt waren, wo ein Roman wie dieser damals nie und nimmer hätte erscheinen können. Doch hat er über die Grenze gewirkt und in die ungarische Literatur einen neuen, frech verspielten Ton gebracht, auf den sich später Autoren wie Péter Esterházy beziehen konnten
.
In der unpathetischen Feier von alkoholischen und sexuellen Exzessen klingt das Buch manchmal, als wäre Charles Bukowski aus der amerikanischen Großstadt in die seit jeher von vielen Nationalitäten bevölkerte Region an der Donau versetzt worden. Doch in wildem Jargon äußern sich hier keine vom Leben geprügelten Außenseiter, sondern empfindsame Kinder, die mit auftrumpfenden Gesten ihre Unsicherheit zu verscheuchen trachten. Am Ende zerstreut sich die Gruppe. Zwei sind tot, mit einem gestohlenen Auto verunglückt oder vorsätzlich in den Tod gerast. Blue, der Erzähler der Geschichte, und die schöne Csicsi machen immerhin ernst mit dem Traum von der großen Reise ins Ungewisse und brechen auf, dem Meer entgegen.
László Végel hat seinen Roman wunderbar in der Schwebe von Jargon und Poesie, von Drastik und Anmut gehalten. Damit diese austarierte Balance auch in anderen Sprachen nicht kippt, braucht es außergewöhnliche Übersetzer. Ins Serbische übersetzt hat die „Bekenntnisse eines Zuhälters“ einst Alexander Tisma, Végels Landsmann und Freund aus Novi Sad; und geradezu meisterlich ist es jetzt Lacy Kornitzer, dem feinsinnigen Übersetzer von Imre Kértesz, István Örkény, Attila Bartens und György Dragomán, gelungen, diesen so düsteren wie ausgelassenen Roman ins Deutsche zu bringen.
KARL-MARKUS GAUSS
LÁSZLÓ VÉGEL: Bekenntnisse eines Zuhälters. Roman. Aus dem Ungarischen von Lacy Kornitzer. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2011. 251 S., 19,90 Euro.
„Es schauderte sie vor den großen
Worten, deshalb wandten sie sich
auch von großen Gedanken ab“
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