Postfräulein soll Schlemihls Tochter werden. Alles würde er dafür tun, dass sie eines Tages im gemütlichen Schalterraum die Briefmarken befeuchtet und nach Dienstschluss von einem netten Leutnant abgeholt wird. Leider lassen sich die serbischen Natschalniks des jugoslawischen Dorfes in der Wojwodina nicht bestechen.
Der Namensvetter jenes Schlemihl, dem der Teufel in Chamissos Roman seinen Schatten stiehlt, ist eine Figur aus Laszló Végels „Bastardroman“. Der 1941 in der Wojwodina geborene Autor las am Montag beim Literaturfestival daraus vor. Végels Schlemihl hat allerdings ein paar Schatten zu viel; nach jedem Machtwechsel wächst ihm ein neuer. Als die Gegend um Novi Sad 1941 an Ungarn angeschlossen wird, hängt er freudig die Flagge aus dem Fenster, tanzt zu Zigeunermusik und bietet den Landsern Erdbeerschnaps an. Ein paar Jahre später macht er die PR für seine Tochter bei den Kommunisten.
Laszló Végel hat miterlebt, wie die Bürger von Novi Sad mehrmals die Staatsbürgerschaft wechselten. Die multiethnische Stadt verwandelte sich seit dem Balkankrieg zusehends in eine serbische Betonwüste. Mit leuchtenden Augen erinnerte sich Végel sich an das „verlorene Paradies“ der Wojwodina, jener Einheit von Serben, Ungarn, Kroaten, Slowaken, Spanier, Italiener, Rumänen, Donauschwaben. 1999, bei einem Aufenthalt in Budapest während der Bombardierung Belgrads durch die Nato, schickte man Végel als Angehörigen der ungarischen Minderheit „nach Hause“, nach Serbien zurück.
Mit Adelbert von Chamisso, der als gebürtiger Franzose im Preußen des 18. Jahrhunderts lebte, teilt Végel das Gefühl der Heimatlosigkeit. Es ist ihm zur zweiten Natur geworden: „Ich fühle mich überall sehr wohl, denn überall bin ich fremd.“
Berliner Zeitung, 13.09.2006
Brigitte Preissler