Andreas Breitenstein berichtet von einem Treffen hochkaratiger Schriftsteller aus dem ehemaligen Jugoslawien, die zehn Jahre nach Srebrenica über Ursachen und Folgen des Massakers diskutierten. Der ungarische-serbische Schriftsteller Laszlo Vegel sah zum Beispiel Srebrenica in der Tradition des 20. jahrhunderts stehen:“Der Mord von Srebrenica ist ohne diese ‚Kultur der Massengräber‘ nicht zu begreifen. Das Schweigen und die Hybris der Sieger hätten, so Vegel, die Glut der Geschichte motten lassen („motten“ ist offenbar Schweizerisch für „schwelen“). Es brauchte nach dem Kollaps des Kommunismus nicht viel, den alten Hass zu entzünden und mit ihm die Idee, dass sich die Dinge mit Gewalt regeln lassen. Es darf daher heute nicht sein, dass man über den Krieg der neunziger Jahre in dasselbe Schweigen verfällt und das Verhängnis sich fortsetzen lässt. In München war man sich einig, dass das Haager Tribunal derzeit die einzige Chance der Katharsis bietet, indem es die ‚Sieger‘ aus ihrer Verblendung und die ‚Verlierer‘ aus ihrer Verstocktheit herausholt.“
Spiegel, 12. jul. 2005