Ein Schriftsteller-Symposium in München zum Gedenken an Srebrenica
Zu absolute Begriffe
Zu Beginn noch tappte man im Nebel. Schuld, Sühne und Vergebung; Opfer und Täter; gehen oder bleiben – solch absolute Begriffe blockieren das Denken eher, als dass sie es in Gang bringen. Pathos ist im Diskurs über Jugoslawien nicht nur keine Lösung, sondern Teil des Problems. Geschichte kann nicht erkalten, solange mit heissen Begriffen darin herumgestochert wird. Der in Novi Sad lebende ungarisch-serbische Schriftsteller László Végel bezeichnete die ŤHysterie instabiler Nationalstaatenť denn auch als das Grundverhängnis balkanischer Geschichte. Während eines Menschenlebens im 20. Jahrhundert habe man als Bürger Novi Sads viermal die Staatsbürgerschaft gewechselt. Lebten die jugoslawischen Volksgruppen seit 1919 in Misstrauen und Angst miteinander, schuf der Zweite Weltkrieg Gelegenheit, (für oder gegen die Nazi-Besatzer) mit äusserster Brutalität gegeneinander loszuschlagen. Zwar habe Tito nach 1945 erfolgreich ŤBrüderlichkeitť verordnet, im Hinblick auf die hehre sozialis!
tische Zukunft aber auch mit systematischer Geschichtsfälschung eine Aufarbeitung der Verbrechen verhindert. Die Massaker (gegen Slowenen und Kroaten, Serben und Ungarn, aber auch Deutsche und Italiener) waren in Jugoslawien absolut tabu. Nicht von ungefähr wurde der slowenische Schriftsteller Drago Janar 1974 wegen Ťfeindlicher Propagandať zu zwei Jahren Haft verurteilt, als er öffentlich machte, was sich in Slowenien abgespielt hatte.
Ekel und Resignation
Der Mord von Srebrenica ist ohne diese ŤKultur der Massengräberť nicht zu begreifen. Das Schweigen und die Hybris der Sieger hätten, so Végel, die Glut der Geschichte motten lassen. Es brauchte nach dem Kollaps des Kommunismus nicht viel, den alten Hass zu entzünden und mit ihm die Idee, dass sich die Dinge mit Gewalt regeln lassen. Es darf daher heute nicht sein, dass man über den Krieg der neunziger Jahre in dasselbe Schweigen verfällt und das Verhängnis sich fortsetzen lässt. In München war man sich einig, dass das Haager Tribunal derzeit die einzige Chance der Katharsis bietet, indem es die ŤSiegerť aus ihrer Verblendung und die ŤVerliererť aus ihrer Verstocktheit herausholt. Auch ist es die vordringliche Aufgabe der Schriftsteller, die Menschen erzählend mit den Verbrechen zu konfrontieren und sie die ewige Metamorphose balkanischer Gewalt durchschauen zu lassen (…)
Andreas Breitenstein
12. Juli 2005, :, Neue Zürcher Zeitung, 12. juli 2005.