ROMAN VON LÁSZLÓ VÉGEL
Jugend ohne Sinn und Zweck
Endlich hat ihn Deutschland entdeckt: László Végels ungarischen Kultroman „Bekenntnisse eines Zuhälters“ aus dem Jahr 1967.
Von Martin Brinkmann
Zeit online, 05.08.2011
Sie sind jung und sehnen sich nach Teilhabe am guten Leben. Sie sind verzweifelt, weil dieser Wunsch unerfüllbar scheint. In ihrer Qual sind sie bereit, alles zu tun: Ob Zuhälterei oder Prostitution – egal, Hauptsache, sie kommen irgendwie zu Geld. Die Rede ist von den Helden in László Végels erstmals 1967 erschienenem Kultroman Bekenntnisse eines Zuhälters. Während ihre Altersgenossen im Westen auf die Barrikaden gehen, um nicht zuletzt auch dem Konsumdenken den Garaus zu machen, haben die Studenten hinterm Eisernen Vorhang offenbar ganz andere Sorgen. Dass Wahrheit und Schönheit außerhalb des Konsums gefunden werden könnte, ist ihnen ein allzu ferner Gedanke. Er erscheint ihnen geradezu widersinnig – als die romantische Schwärmerei eines wohlsituierten Hochschulprofessors.
Das ganze Ausmaß der Misere wird dem Leser aus der Sicht eines tagebuchführenden Ich-Erzählers präsentiert. Die Hauptfigur namens Blue schildert eine lose Folge von Tagen aus seinem Leben, die von Vitalität und Depression gleichermaßen angefüllt sind. Es sind vor allem die heftige Unentschlossenheit und fehlende Orientierung, die die hier porträtierte Generation kennzeichnen. Während er ziemlich halt- und planlos durch seine studentischen Tage taumelt, ein Besäufnis nach dem anderen ansteuert, keine Party auslässt, sich dem anderen Geschlecht gegenüber rabiat und zärtlich zugleich gibt, macht sich Blue unentwegt Gedanken, weniger über Gott und die Welt als über sich und das Schicksal seiner Generation.
Die aphoristisch zugespitzten Reflexionen eines frustrierten jungen Mannes sorgen dafür, dass das Buch auch heute noch gut lesbar ist, so, als sei es tatsächlich egal, zu welcher Zeit und unter welchen politischen Umständen der ins Leben strebende männliche Mensch seine Eindrücke sammelt, etwa wie folgt: „Nur wenn sie nackt sind, sind die Mädchen geheimnisvoll. Ja. Sonst ist alles, was sie sagen, künstlich.“
Was das optimale Schmiermittel zwischenmenschlicher Beziehungen ist, nämlich die Lüge, belauscht Blue in seinem neuen Nebenjob. Seine Aufgabe besteht darin, heimlich die jungen Mädchen zu fotografieren, die sein neuer Arbeitgeber, ein Ingenieur, in erpresserischer Absicht zu sich ins Bett lockt. Dass der Erwerb ausgesuchter Waren, vornehmlich modischer Accessoires, dem Leben Glanz und Bedeutung verleiht, kann der Erzähler nicht oft genug erläutern. Über die Ambivalenz der Gefühle macht er sich keine Illusionen: Als Hauptursache für die Liebe erkennt er – reichlich kokett – die Langeweile.
Während man dem Treiben und Denken von Blue und seinen zahlreichen Leidensgenossen folgt, beschleicht einen häufig das folgende Gefühl: Könnte es sein, dass der 1941 geborene Autor, der als Angehöriger der ungarischen Minderheit im serbischen Novi Sad lebt, in seinem legendären Debüt vor allem eines anstrebt: die Provokation des moralischen Denkens nämlich?
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